Clemens Pig im Interview

War on Information: „Solidarität und Support für ukrainische Nachrichtenagentur“

Clemens Pig, APA-CEO sowie Präsident der European Alliance of News Agencies (EANA), zu den Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf Nachrichtenagenturen im Allgemeinen und die APA im Speziellen.

Welche Folgen des Ukraine-Kriegs zeigen sich bisher auf internationaler Ebene der Nachrichtenagenturen?

Pig: Nachrichtenagenturen sind hier ganz unmittelbar betroffen, da die brutale militärische Invasion Russlands von einem Krieg der Propaganda und der medialen Desinformationen begleitet wird. Die APA ist Mitglied der europäischen Agentur-Allianz EANA, der ich als Präsident vorstehen darf. Der Vorstand der EANA hat am 27. Februar 2022 – also kurz nach Kriegsbeginn und nach Einsetzen der russischen Medienzensur – einstimmig eine sehr weitreichende Maßnahme gesetzt und die sofortige Suspendierung der russischen Nachrichtenagentur TASS von der europäischen Agenturallianz beschlossen. Eine außerordentliche Generalversammlung aller europäischen Mitglieder folgt im Mai – hier wird über einen möglichen Ausschluss der TASS aus der EANA entschieden. 

Die Suspendierung einer Nachrichtenagentur ist in der Geschichte der EANA, die 1956 gegründet wurde, einmalig. Hintergrund ist ein Mediendekret in Russland, erlassen durch die russische Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor. Dieses schreibt allen russischen Medien unter Androhung harter Strafen vor, dass nur noch offizielle Regierungsstellen als Quellen für Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine dienen dürfen. Weiters verbietet dieses Dekret allen russischen Medien Begriffe wie „Invasion“, „Krieg“ oder „Einmarsch“.

Eine unvoreingenommene, adäquate Berichterstattung, die bei einer Mitgliedschaft in der EANA stets das Grundprinzip und Ziel sein muss, ist im Falle der TASS in vielerlei Hinsicht nicht mehr möglich. Dabei wurde die TASS immer schon als staatliche Nachrichtenagentur und staatliches „Sprachrohr“ eingestuft. Der englischsprachige Dienst der TASS hat bisher traditionell etwas ausgewogener und offener berichtet, was jetzt aufgrund der Erlässe der Roskomnadsor natürlich nicht mehr der Fall ist. Der Bilderdienst der TASS zeigt zwischenzeitlich in den Bildbeschreibungen teilweise ukrainische Hoheitsgebiete als russische an. Wir haben somit den Bilderdienst der TASS vom Netz genommen – konkret bei APA-PictureDesk, weil hier viele Userinnen und User zugreifen, die keine Journalisten oder Journalistinnen sind und damit eine professionelle Einordnung nicht gewährleistet werden kann.

Die ukrainische Nachrichtenagentur UKRINFORM ist EANA-Mitglied, in welcher Form erhält sie Unterstützung?

Der gesamte Vorstand der EANA hat der UKRINFORM volle Solidarität und Unterstützung ausgesprochen. Diese Unterstützung zeigt sich etwa in der Finanzierung von alternativen Kommunikationssystemen, falls das Internet als Kommunikationsmittel ausfallen sollte, oder auch im entgeltfreien Bezug der redaktionellen Basisdienste westlicher Agenturen. Eine ganze Reihe von europäischen Nachrichtenagenturen ist diesem Beispiel gefolgt und hat die internationalen redaktionellen Dienste entgeltfrei zur Verfügung gestellt. Dieser Schritt soll dabei helfen, die ukrainische Öffentlichkeit trotz der eingeschränkten Ressourcen ausgewogen und zuverlässig informieren zu können.

Darüber hinaus veranstaltet die Vereinigung europäischer Bildagenturen CEPIC in Kooperation mit der EANA Ende Mai ein Fundraising Webinar #StandWithUkraine, wo u.a. MedienvertreterInnen über ihren journalistischen Alltag im Kriegsgebiet berichten. Die Einnahmen kommen Hilfsorganisationen für die Ukraine zugute.

Unter welchen Bedingungen arbeitet die UKRINFORM aktuell?

Die Lage ist erschütternd. Journalistisches Arbeiten erfolgt bei Luftalarm aus U-Bahn-Schächten oder Luftschutzbunkern, die Kolleginnen und Kollegen verstecken sich in privaten Appartements, ihre Arbeit wird aufgrund von Bombardements immer wieder für Stunden unterbrochen. Es gibt tragische familiäre Situationen, keine oder zu wenig Schutzkleidung (bullet proofs etc.), von manchen Journalistinnen und Journalisten hat die Agentur-Leitung seit über einer Woche nichts mehr gehört. Das alles ist sehr bedrückend. Umso wichtiger ist unsere redaktionell-inhaltliche, aber auch materielle und persönliche Unterstützung sowie Support durch kontinuierlichen Austausch.  

Welche Informationsquellen nutzt die APA für ihre Berichterstattung über den Krieg?

Wir beziehen Informationen unter anderem von den großen Partneragenturen dpa Deutsche Presse-Agentur, der französischen Agence France-Press (AFP) und Reuters – die wichtigsten im Bereich der internationalen und außenpolitischen Agentur-Berichterstattung. Dazu kommen sogenannte „Stringer“, die als freie MitarbeiterInnen für mehrere Medien oder Nachrichtenagenturen arbeiten. Darüber hinaus steht unsere Redaktion mit Expertinnen und Experten inner- und außerhalb der Ukraine in Kontakt.

In der APA selbst verfügt das Ressort Außenpolitik über hohe journalistische Expertise, was Osteuropa und Russland betrifft. Eingebunden sind aber letztlich alle Ressorts, da die Auswirkungen des Krieges in allen Bereichen real sind. Ziel ist es, das Thema mit all seinen Aspekten von allen Seiten zu beleuchten.

Welche redaktionellen Herausforderungen stellen sich für die APA?

Der Krieg in der Ukraine ist in vielerlei Hinsicht eine außerordentliche redaktionelle Herausforderung, da er ganz klar auch ein „War on Information“ ist. Russland greift massiv in die freien Informations- und Nachrichtenströme ein und lanciert gezielt Falschinformationen. Seriöser Journalismus kann dem nur mit glaubwürdiger und vertrauenswürdiger Information begegnen. Unsere Grundprinzipien dabei sind: zu berichten, was wir gesichert wissen, Sachlichkeit, Faktenbasiertheit, Quellentransparenz und Quellenvielfalt, ein verantwortungsvoller Umgang mit Texten, Fotos und Videomaterial. Es zeigt sich einmal mehr, wie wichtig es für die APA war, den Bereich der umfassenden Faktenchecks in den vergangenen Jahren auszubauen und zu stärken. Unser zentraler Auftrag als Nachrichtenagentur, unabhängig, richtig, ausgewogen und zuverlässig zu berichten, ist in dieser Situation von besonderer Bedeutung. Dieses Ziel verfolgen wir mit aller Kraft.

Der russische Einmarsch in die Ukraine ist auch ein Brennglas für die Entwicklung von autokratischen Gesellschaften: Zunächst wird das demokratische Licht abgedreht, indem die freien Medien ausgeschaltet werden, dann werden alle Störgeräusche entfernt, d.h. die Opposition wird unterdrückt, und schließlich die Rechtsstaatlichkeit abgeschafft und die unabhängige Justiz der staatlichen Kontrolle unterworfen.

Das Modell unabhängiger Medien und Nachrichtenagenturen in demokratischen Gesellschaften ist somit wichtiger denn je. Die APA setzt dieses Modell seit Jahren konsequent um, indem sie sich durch Diversifizierung und durch die Erschließung neuer Geschäftsfelder aus eigener Kraft finanziert. Wir sichern damit die journalistische Unabhängigkeit als übergeordnetes Ziel der als unabhängige Genossenschaft im Eigentum der Medien befindlichen APA.

Welche Nachrichtenagenturen in Europa gelten als staatlich unabhängig?

Wir stehen vor der Situation, dass nur 20 von weltweit rund 140 Nachrichtenagenturen von Staat und Regierung unabhängig sind. Mehr als die Hälfte, sprich elf dieser unabhängigen Agenturen, befindet sich in Europa. Konkret sind das die skandinavischen Staaten, d.h. Schweden, Finnland, Norwegen und Dänemark, Großbritannien, der DACH-Raum mit Deutschland, Österreich und der Schweiz, die Beneluxstaaten mit Belgien und den Niederlanden sowie Italien.

About EANA:
Die European Alliance of News Agencies (EANA) dient der Kooperation sowie dem Informations- und Erfahrungsaustausch europäischer Nachrichtenagenturen. Aufgabe der EANA ist es, die gemeinsamen Interessen ihrer Mitglieder in allen relevanten Bereichen zu vertreten. Die EANA hat es sich zum Ziel gesetzt, die Tätigkeit der Mitglieds-Nachrichtenagenturen als Provider von „unbiased news“ sicherzustellen und weiter voranzutreiben. Die EANA unterstützt die Prinzipien der Pressefreiheit und fördert ihre Mitglieder dabei, stets auf Grundlage dieser Prinzipien zu arbeiten. Aktuell sind 32 Nachrichtenagenturen aus ganz Europa EANA-Mitglied.

EANA – The European Alliance of News Agencies

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Putin für gemeinsame Standards mit dem Westen – APA-Value-News (Beitrag vom 25.06.2021)