Studie AI Potenzial in den Medien

Wachstumsfeld AI

APA-medialab und Joanneum Research setzten umfassende Analyse zur gegenwärtigen KI-Nutzung und deren Potenzialen um – Einsatz in den Redaktionen ausbaufähig – Interview mit Projektteam der Studie

Künstliche Intelligenz (KI) macht auch vor der Medienbranche nicht halt und stellt diese vor große Herausforderungen. Das Thema stößt bei österreichischen Medienunternehmen bereits auf großes Interesse, hat jedoch noch kaum Eingang ins Tagesgeschäft gefunden, zeigt eine von APA-medialab und Joanneum Research in Auftrag des Innovations- und Technologieministeriums (BMK) durchgeführte umfassende Analyse. Kooperationen werden für die Zukunft als unerlässlich angesehen.

Die „AI.AT.Media – AI and the Austrian Media Sector: Mapping the Landscape, Setting a Course“ betitelte Studie identifiziert das Forschungspotenzial von KI im Medienbereich in Österreich, zeigt passende Handlungsoptionen für das Ausschöpfen des Potenzials auf und soll die Basis für künftige Kooperationen legen. Dafür wurden zunächst Forschungsliteratur und Anwendungsfälle analysiert und anschließend zwei Befragungen mit 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern als auch 33 Expertinnen und Experten durchgeführt. Die daraus gewonnen Erkenntnisse wurden diskutiert und im Rahmen der „MediaLab Days“ zu vier Herausforderungen für die Forschung verdichtet.

Zentrale Forschungsergebnisse

Derzeit ist die Beschäftigung mit KI auf technikaffine Bereiche in Medienunternehmen beschränkt, wobei der Fokus auf experimentellem Einsatz für klar abgegrenzte Bereiche liegt, wie die Analyse zeigt. Das Potenzial für einen umfassenderen Einsatz wird jedoch erkannt und auch zahlreiche konkrete Anwendungsfälle wie Personalisierung von Inhalten, Sprach- und Bilderkennung oder automatische Inhaltsgenerierung genannt. Dabei sind im Vergleich mit der Technologiebranche stärkere Vorbehalte bei Anwendungen, die direkt Rezipientinnen und Rezipienten betreffen, gegeben. Das liege laut der Studie in vielen Fällen daran, dass zwar schon Ergebnisse geliefert werden, diese aber noch nicht den Qualitätsanforderungen im Journalismus entsprechen – etwa Fakten korrekt wiederzugeben oder Berichte und Meinungen voneinander abzugrenzen.

Um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen, empfiehlt es sich für heimische Nachrichtenunternehmen auch aufgrund der Kleinheit des österreichischen Medienmarkts auf Kooperationen zu setzen, um etwa auf ausreichend Trainingsdatensätze für Algorithmen zurückgreifen zu können. Da die einzelnen Player jedoch auch in einem Konkurrenzverhältnis zueinanderstehen, wird für eine reibungslose Zusammenarbeit ein Konzept für einen sicheren Datenraum benötigt. Auch sollten die Unternehmen aufgrund der zahlreichen Vorschriften rund um das Thema KI von Anfang an rechtliche Expertise einbinden.

Vier Challenges für die Forschung

Als eine der vier zentralen im Zuge der Analyse identifizierten Herausforderungen wird der Umgang von KI-Werkzeugen mit regionalspezifischer Sprache gesehen. Mögliche Lösungsansätze beschränken sich dabei nicht auf „mehr Daten“, sondern zielen etwa auf bessere Kooperation österreichischer Medienunternehmen oder auf die Entwicklung von KI-Technologien, die mit geringen Datenmengen umgehen können, ab. Als zweite Challenge wurde die automatisierte Content-Erstellung identifiziert. Vorhandene Systeme genügen journalistischen Ansprüchen noch nicht. Baustellen sind etwa der Komplexitätsgrad der generierten Inhalte, deren Tonalität sowie Dramaturgie. Herausforderungen drei und vier befassen sich mit der Personalisierung von Inhalten und der KI als Assistenztechnologie in der Informationsbeschaffung und -strukturierung. In letzterem Bereich performen vorhandene Systeme vor allem im Bereich der Verifizierung zu schwach.

Die Studie bestätige den Mehrwert von KI für den Medienbereich und zeige auf, dass österreichische Forschung wichtige Technologien dazu beisteuern könne, wurde Joanneum-Research-Geschäftsführer Heinz Mayer in einer Aussendung zitiert. Für APA-Geschäftsführer Clemens Pig ist KI „eines der wichtigsten Entwicklungsfelder im digitalen Medienwandel“, wobei Kooperationslösungen ein „Schlüsselfaktor“ seien. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Die Grünen) strich hervor, dass KI zum Nutzen der Allgemeinheit transparent, menschenzentriert und auf Basis von hohen demokratiepolitischen Werten sinnvoll eingesetzt werden müsse.

Die Studie wurde vom BMK im Rahmen des Programms „IKT der Zukunft“ gefördert und steht unter http://go.apa.at/jyUPitim zum Download zur Verfügung.

Das Projektteam der Studie im Interview

Die wichtigsten Take Aways und Learnings aus der Studie sowie die Frage, wie sich das Themenfeld in naher Zukunft weiterentwickeln wird, war Inhalt eines Kurzinterviews mit den Mitgliedern des Projektteams sowie dem Vertreter des Auftraggebers, Michael Wiesmüller, Leiter der Abteilung i5 im Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie. Das Interview führte Projektleiterin und Leiterin des APA-medialab Verena Krawarik.

Frau Schell, wie wird sich für Journalistinnen und Journalisten der Alltag durch den Einsatz von AI in den nächsten Jahren verändern? Welche der vier erarbeiteten Challenges hätte darauf den stärksten Impact?

Katharina Schell (Mitglied der APA-Chefredaktion, digitale Innovation): „Die Workflows und damit der Arbeitsalltag von Journalistinnen und Journalisten werden stark von den vorhandenen Werkzeugen geprägt. Einst gab es den Fernschreiber und die Telefonzelle, dann kamen Internet, Smartphones… und künftig wird es wohl Werkzeuge mit KI-Komponenten geben, die unsere Arbeitsabläufe mitbestimmen. In den Interviews mit Medien-Stakeholdern hat sich der Wunsch gezeigt, KI im Newsroom quasi als ‚Kollegin‘ einzubinden – mit hohem Assistenzcharakter. In diesem Zusammenhang ist sicher die Challenge ‚Digitale Assistenz für spezifische journalistische Anforderungen‘ von hoher Relevanz. Wer entwickelt für uns Werkzeuge, die auf unsere Bedürfnisse, auf unsere oft sehr spezifische Arbeit, abgestimmt sind und uns dabei unterstützen?“

„(…) KI im Newsroom quasi als ‚Kollegin‘ einzubinden – mit hohem Assistenzcharakter“

Katharina Schell (Mitglied der APA-Chefredaktion)

Herr Bailer, Sie haben in der Studie die unterschiedlichen Autonomielevels von AI im Medienkontext beschrieben und das Screening der Forschungslandschaft übernommen. Wo erwarten Sie die signifikantesten Sprünge bei Tools und Lösungen?

Werner Bailer (Joanneum Research, DIGITAL – Institut für Informations- und Kommunikationstechnologien): „Kurz- und mittelfristig sind innovative KI-Lösungen für den Produktiveinsatz vor allem bei unterstützenden Werkzeugen zu erwarten, z.B. für die Analyse und Filterung von Quellen, oder die Erstellung, Verbesserung und Kompression von Medienassets.“

„Kurz- und mittelfristig sind innovative KI-Lösungen für den Produktiveinsatz vor allem bei unterstützenden Werkzeugen zu erwarten.“

Werner Bailer (Joanneum Research)

Herr Thallinger, Joanneum Research ist in mehreren Forschungsprojekten zum Themenkomplex AI und Medien vertreten, sowohl auf nationaler Ebene, z.B. im Projekt „TailoredMedia“, als auch auf internationaler Ebene im Projekt „AI4Media“. Welche Learnings aus der Studie „AI.AT.Media“ würden Sie am liebsten sofort umsetzen?

Georg Thallinger (Joanneum Research, DIGITAL – Institut für Informations- und Kommunikationstechnologien): „Aus unserer Sicht sind folgende zwei Bereiche besonders interessant: Die automatische Erstellung von Varianten von Inhalten für verschiedene Zielgruppen bzw. Nutzungsszenarien und der Aufbau von Korpora mit österreichischen Inhalten (inklusive Dialekte), um AI-basierte Lösungen zur regionalen Nutzung umsetzen zu können.“

Frau Ertelthalner, Sie haben 2019 den VÖZ-Förderpreis für Medienforschung für die Magisterarbeit „Zukunftsszenario zum algorithmischen Journalismus in Österreich“ bekommen. Inwieweit hat sich Ihrer Meinung nach das Themenfeld weiterentwickelt und woran sollte man aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht unbedingt weiterforschen?

Victoria Ertelthalner (heute Universität Wien/Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und LMU München/Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung): „Algorithmen im Journalismus sind stärker in der Medienlandschaft angekommen. Allerdings werden Anwendungen wie die automatisierte Textgenerierung noch nicht ganz angenommen. Mancherorts wird wenig Vertrauen in die Qualität des Outputs gelegt. Das führt mich zur ersten Frage: Wo fällt Technologie auf fruchtbaren Boden, wo nicht und warum? Allgemein zeigt sich, dass die Einsatzgebiete unterschiedlicher Tools heute deutlich konkretisiert sind und entsprechendes Know-how in den Unternehmen dazu aufgebaut wurde. Einzelne Medienunternehmen entwickeln Tools u.a. vermehrt selbst, testen sie, passen sie für ihren eigenen Bedarf an und setzen sie ein. Daraus ergibt sich auch die Frage, wie sich die Rollen in Unternehmen weiter verändern, aber auch welche Rollen und Aufgaben konkret von Maschinen und Menschen übernommen werden sollen.

„Allgemein zeigt sich, dass die Einsatzgebiete unterschiedlicher Tools heute deutlich konkretisiert sind und entsprechendes Know-how in den Unternehmen dazu aufgebaut wurde.“

Victoria Ertelthalner (heute Universität Wien und LMU München)

Diese Frage wird auch in Zukunft ausverhandelt werden müssen, besonders im Kontext von hybridem Handeln, die Frage nach Entscheidungs- und Handlungshoheit von Mensch und Maschine. Zusätzlich sehe ich offene Fragen im konkreten Aneignungsprozess von Technologie im Vergleich zwischen unterschiedlichen Rahmenbedingungen der Medienproduktion und wie Technologien Journalismuskulturen langfristig verändern. Die aktuellen Entwicklungen verändern die Art und Weise, wie Öffentlichkeit hergestellt wird. Dafür braucht es ein Verständnis für diese Prozesse. Zur Medienkompetenz braucht es eine Art von Algorithmic Awareness, auch in der Bevölkerung.“

Herr Wiesmüller, die EU sieht mit dem Data Space for Media künftig eine Infrastruktur für das Teilen von Daten von Medien vor. Wie kann dieses Vorhaben auf nationaler Ebene begleitet werden? Wo werden diese Themen schon heute in Förderprogrammen adressiert?

Michael Wiesmüller (BMK, Leiter der Abteilung für Schlüsseltechnologien für industrielle Innovation): „Datengetriebene Innovationen zählen seit mehr als zehn Jahren zum Tagesgeschäft unserer Technologieprogramme, wie ‚IKT der Zukunft‘ oder ‚Produktion der Zukunft‘. Da die digitale Durchdringung der analogen Welt ja eigentlich eine Datafizierung ist, treffen wir in allen Anwendungskontexten, wo es um digitale Transformationen geht, von den ingenieursgetriebenen Unternehmen in der Industrie, den Infrastrukturbetreibern bis hin zum Gesundheitsbereich auf ähnliche Fragestellungen zu verborgenen Potenzialen von Daten. Das gilt natürlich auch für den Mediensektor. Das Pooling von digitalisierten Inhalten ist dabei einer der wichtigsten Use-Cases in einer sich digitalisierenden Medienwelt. Ein funktionierendes Daten-Service-Ökosystem kann aus Daten Informationen gewinnen, aus Informationen Wissen generieren und so Redakteure beim datenverifizierten Vorgehen gegen Fake News und bei der Informationsbeschaffung unterstützen.

„(…) die digitale Durchdringung der analogen Welt ist ja eigentlich eine Datafizierung“

Michael Wiesmüller (BMK)

Tools für dieses Daten-Service-Ökosystem, das Know-how aus anderen Sektoren und die Möglichkeit, sich mit anderen zu vernetzen, bietet die vom BMK unterstützte ‚Data Intelligence Offensive (DIO)‘, die sehr gut im europäischen Kontext als Teil der GAIA-X Initiative oder der DAIRO-Plattform (Data, AI and Robotics) vernetzt ist. Darüber hinaus werden wir mit der Testung einer in Österreich entwickelten Dataspace Software neue Maßstäbe für ein innovatives, dezentrales und domänenübergreifendes Daten-Service-Ökosystem schaffen.“

Und was nimmt Verena Krawarik selbst für die Innovationsarbeit der APA mit?

Verena Krawarik (Innovationsmanagement, Leiterin APA-medialab): „Die Studie hat gezeigt, dass es im Bereich AI sehr viel Zusammenarbeit und Kooperation braucht – von Medienunternehmen untereinander, aber auch von Medien, Industriepartnern und Forschungseinrichtungen. Wir wollen hier einen Rahmen bieten – etwa durch die Etablierung eines Datenkreises für Medien im Rahmen der DIO, einen Hub für Automation Competence, aber auch durch neue Kooperationsmodelle, die sich aus unseren eigenen Datenschätzen ergeben und rund um unsere Plattformen angesiedelt sein werden. Manche Kooperationen werden auch international aufgestellt sein, etwa mit dem Projekt DRIVE.“