Clemens Pig hält Vortrag beim Mediengipfel Lech

Mediengipfel: Nachrichtenagenturen im Spannungsfeld

APA-CEO und EANA-Präsident Clemens Pig schilderte den Wettbewerb zwischen unabhängigen und staatlich gelenkten Nachrichtenagenturen und bot Einblick in die aktuelle Lage der ukrainischen Nachrichtenagentur. Katharina Schell, Mitglied der APA-Chefredaktion, moderierte das prominent besetzte Podium zum Thema „Die Suche nach der Wirklichkeit – Medien zwischen Fake und Fakten“.

Der Wettbewerb zwischen unabhängigen Nachrichtenagenturen und Staatsagenturen wird zunehmend härter. Dies berichtete APA-Geschäftsführer Clemens Pig beim 14. Europäischen Mediengipfel, der von 21. bis 23. April 2022 in Lech am Arlberg stattfand. Der „Club der Unabhängigen“ reagiere auf diese Herausforderung mit mehr Kooperationen bei Digital-Plattformen, Innovationen und redaktionellen Formaten wie Faktenchecks, so Pig, der derzeit auch Präsident der europäischen Agentur-Allianz EANA (European Alliance of News Agencies) ist.

Staatliche Nachrichtenagenturen wie die chinesische Xinhua oder die türkische Anadolu produzierten inzwischen in zwölf Weltsprachen. Xinhua habe mit rund 13.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern doppelt so viele Leute wie alle unabhängigen europäischen Nachrichtenagenturen zusammen. Pig sprach von einer „Professionalisierung von staatlichen Nachrichtenagenturen“.

APA-CEO Clemens Pig im Zuge seiner Keynote „News behind the scenes: Europäische Nachrichtenagenturen unter Druck“

Staatsagenturen wollen demnach regierungsgesteuerte Nachrichten weltweit ausliefern, um Lufthoheit über die globalen Nachrichtenströme zu erlangen. Sie dienten zunehmend als Instrument der Soft-Power. Die Antwort der unabhängigen Nachrichtenagenturen auf diese Entwicklung sei eine Vertiefung der Zusammenarbeit und die wirtschaftliche Absicherung durch Diversifizierung und Digitalisierung. Demnächst startet etwa ein gemeinsamer EU-Newsroom von 15 europäischen Nachrichtenagenturen in Brüssel. Leitbild aller Aktivitäten: „Redaktionelle Unabhängigkeit durch wirtschaftliche Stärke.“

Liberale Demokratien brauchen laut Pig unabhängige Nachrichtenagenturen. Erster Schritt auf dem Weg zu autokratischen und diktatorischen Gesellschaften sei hingegen die Ausschaltung von freien Medien und Nachrichtenagenturen. Für Nachrichtenagenturen besonders herausfordernd sei der aktuelle „War on Information“ rund um die brutale militärische Invasion Russlands in die Ukraine. Diese werde von einem Krieg der Propaganda und medialen Desinformation begleitet. Seriöse Medien könnten dem nur mit glaubwürdigem und vertrauenswürdigem Journalismus begegnen.

Die ukrainische Nachrichtenagentur Ukrinform erhält von der EANA derzeit viel Unterstützung. Finanzielle Mittel für Kommunikationssysteme sowie redaktionelle Dienste werden der Ukrinform entgeltfrei zur Verfügung gestellt. „Dies soll dabei helfen, die ukrainische Öffentlichkeit trotz der eingeschränkten Ressourcen ausgewogen und zuverlässig informieren zu können.“

Die Arbeitsbedingungen für ukrainische Journalistinnen und Journalisten nannte Pig erschütternd: „Journalistisches Arbeiten erfolgt bei Luftalarm aus U-Bahn-Schächten, die Kolleginnen und Kollegen verstecken sich in privaten Appartements, zu manchen hat die Agenturleitung über Tage keinen Kontakt. Es gibt keine oder zu wenig Schutzwesten. Das alles ist sehr bedrückend.“

Die russische Staatsagentur TASS wurde unterdessen von der EANA suspendiert. Bei einer Generalversammlung im Mai könnte es zum Ausschluss der Staatsagentur kommen, die ihre Propaganda seit Kriegsbeginn aufgrund der gesetzlichen Vorgaben noch einmal verstärkt hat. „Die Suspendierung einer Nachrichtenagentur ist in der Geschichte der EANA einmalig“, so Pig. Die TASS galt immer schon als staatliches Sprachrohr, der englische Dienst hatte aber traditionell ausgewogener und offener berichtet. Mit den neuen russischen Mediengesetzen sei dies jedoch Geschichte gewesen.

Podiumsdiskussion über „Die Suche nach der Wirklichkeit – Medien zwischen Fake und Fakten

Katharina Schell, Mitglied der APA-Chefredaktion, moderierte im Rahmen des Europäischen Mediengipfels 2022 eine hochkarätig besetzte Runde über Strategien gegen digitale Desinformation.

Es diskutierten (v.l.): Katharina Schell (APA, Moderation), Patricio Hetfleisch (Medienexperte), Otmar Lahodynsky (Association of European Journalists), Alexandra Föderl-Schmid (SZ), Gerold Riedmann (VN) und Matthias Sutter (Verhaltensökonom)

Medienexperte Patricio Hetfleisch hielt zunächst ein unausgewogenes Kräfteverhältnis fest: Weltweit sei das Verhältnis von PR-Fachkräften zu Journalisten 6:1. „Sechs PR-Experten beackern im Schnitt einen Journalisten. Dieses Verhältnis ist dramatisch. Und es werden nicht mehr Journalisten, sondern weniger. In den letzten zehn Jahren sind allein in den USA 20 bis 25 Prozent aller journalistischen Jobs verlorengegangen.“ Opfer sei die Bevölkerung, wenn Journalismus nicht mit den entsprechenden Ressourcen untermauert sei. Als Beispiel nannte er die massive Informations- bzw. Desinformationswelle in Russland, bereits Jahre vor Beginn des aktuellen Ukraine-Krieges. „Die Bevölkerung in Russland glaubt das Narrativ aus dem Kreml. Es ist die Bevölkerung, die das erste Opfer dieser Art und Weise der konstruierten Realität basierend auf Machtinteresse ist.“

Otmar Lahodynsky, Ehrenpräsident der Association of European Journalists, berichtete von direkter „Einflussnahme russischer Trolle“ etwa auf Wikipedia-Artikel und positionierte sich zum EU-weiten Verbreitungsverbot von „Russia Today“ und „Sputnik“: „Das war umstritten. Aber soll man wirklich Propaganda erlauben, weiter Lügen verbreiten lassen? Insofern war das Verbot dieser Sender durchaus gerechtfertigt“, so Lahodynsky.

„Wir müssen den Mehrwert des Journalismus unter Beweis stellen und es muss die Bereitschaft da sein, für diesen Journalismus zu bezahlen“, so Alexandra Föderl-Schmid, stv. Chefredakteurin der Süddeutschen Zeitung. In den USA hätten während der Trump-Ära die bekanntesten Qualitätsmedien wie die Washington Post und NYT einen massiven Zuwachs erfahren. Auch bei der SZ seien die Digitalabonnements während der Coronakrise deutlich gestiegen. Föderl-Schmid: „Ich glaube tatsächlich, dass für Qualitätsmedien eine Chance darin steckt. Wir können uns mit unserer Arbeit und unseren Rechercheaufgaben von der Flut auf Sozialen Medien unterscheiden.“  

VN-Chefredakteur Gerold Riedmann stellte die Frage, wer denn definiere, was Journalismus sei und was nicht. „Ich erinnere mich, dass mein erster Journalistenausweis – entweder in Deutschland oder in Österreich – vom Innenminister unterschrieben war. Als Journalist habe ich mich damals geschämt.“ Und er hielt fest: „Nur mit Transparenz kann Vertrauen hergestellt werden.“

Video-Aufzeichnungen:

„NEWS BEHIND THE SCENES: EUROPÄISCHE NACHRICHTENAGENTUREN UNTER DRUCK“ (Keynote Clemens Pig)

„DIE SUCHE NACH DER WIRKLICHKEIT – MEDIEN ZWISCHEN FAKE UND FAKTEN“ (Podiumsdiskussion)

Interview mit APA-CEO Clemens Pig und APA-Chefredakteur Johannes Bruckenberger im Rahmen einer Kooperation mit der
Medienakademie/Mediengipfel Lech:

Ukrainische Journalisten: Mit schusssicheren Westen im Kampf um Informationen