JournalistInnen müssen sich wegen KI nicht sorgen
Online-Diskussion: Thema entmystifizieren und das Zusammenspiel von Mensch und Maschine genau beobachten
JournalistInnen und Medienhäuser müssen sich nicht vor Künstlicher Intelligenz (KI) fürchten, dürfen deren Entwicklung aber auch nicht verschlafen. Zu dieser Einschätzung gelangten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer von der APA durchgeführten Online-Podiumsdiskussion, die sich mit dem Verhältnis von Journalismus zu Anwendungen auf Basis maschinellen Lernens beschäftigte.
Automatisierung und Unterstützung durch Maschinen seien im Journalismus nicht neu, schickte Wiebke Loosen, Senior Researcher für Journalismusforschung am Leibniz-Institut für Medienforschung voraus. „Journalismus ist ein medientechnologisch getriebenes Phänomen. Dessen Arbeitsprozesse verändern sich stets“, meinte sie. Ob durch eine stärkere Implementierung von KI journalistische Arbeitsplätze wegzufallen drohen oder JournalistInnen lediglich von Routineaufgaben befreit werden, um mehr Zeit für Recherche oder Texterstellung zu haben, liege in der Hand von Medienhäusern. „Es kommt immer auf deren Strategie an“, so Loosen.
Auch Jochen Leidner, Professor für Künstliche Intelligenz an der Hochschule Coburg, sieht die Möglichkeit gegeben, dass der breite Einsatz von KI Arbeitsplätze vernichten könnte – etwa bei Lastwagenfahrern. Unbegründet sei dagegen die Angst davor, dass Maschinen die Macht an sich reißen. Eine gewisse „Mystifizierung“ der KI trage zu dieser Sorge in der Bevölkerung bei, wobei viel Unwissenheit herrsche – etwa darüber, dass gewisse Nachrichten bereits automatisiert erstellt werden.
Gut und böse
„Journalisten müssen sich keine Sorgen machen“, meinte Leidner. Bei KI handle es sich um ein „duales Gut, das für gute und böse Zwecke eingesetzt werden kann“. Problematisch sei, dass manche Gruppen von Autoren stark investieren, um KI-gestützte Falschnachrichten in großer Zahl zu verbreiten. „Diese Gefahr für die Demokratie muss mit allen Mitteln bekämpft werden“, so Leidner. Der Problematik könne man nach Ansicht des KI-Experten am besten im Verbund von Mensch mit Maschinenunterstützung begegnen. Wer das allerdings finanziell stemmen soll, sei offen.
Die Europäische Kommission versucht indes, die Entwicklung von KI in Europa zu fördern, indem sie rund eine Milliarde Euro in den nächsten Jahren für Forschung zu diesem Gebiet investiert, erklärte Nikolaus Forgo, Professor für Technologie- und Immaterialgüterrecht an der Universität Wien. Zugleich strebt die EU mit einem kürzlich vorgestellten Verordnungsvorschlag eine weltweit einzigartige Regulierung an. Dabei werden KI-Anwendungen in einem Stufenmodell auf ihre Gefährlichkeit eingeschätzt. Die Abgrenzung sei jedoch schwierig und die Definition von KI extrem breit, bemängelte Forgo. „Profitieren werden Juristen, weil man trefflich darüber streiten kann, ob es sich um eine KI handelt und wenn ja, in welche Stufe sie gehört“, so der Jurist.
Dass JournalistInnen künftig rechtlich stärker in ihrer Arbeit eingeschränkt werden könnten, erachtete Forgo als plausibel. Generell sei seit mehreren Jahren der Trend erkennbar, Medien verstärkt auch für fremde Inhalte zur Verantwortung zu ziehen. Um den komplexen Materien im digitalen Raum und deren Entwicklungen begegnen zu können, plädierte der Jurist darauf, „viel mehr als bisher arbeitsteilig zu arbeiten“. Das sah auch Leidner so, der eine Bewegung hin zu gruppenbasiertem Journalismus, der auch mit Algorithmen arbeitet, erkannte.
Daten sind nicht neutral
Dringend erforderlich sei laut dem KI-Experten, an der Spracherkennung von Anwendungen auf Basis maschinellen Lernens zu arbeiten, um etwa auch österreichische Dialekte bzw. Sprachvarietäten erkennen zu können. „Andernfalls werden Leute oder ganze Länder ausgegrenzt“, gab Leidner zu Bedenken. Loosen erachtete es wiederum als zentral, klar auszuweisen, wer was auf welcher Grundlage produziert. „Es gibt keine neutralen Daten. Sie sind immer unter bestimmten Bedingungen erhoben worden und entstanden“, sagte sie. Dabei warnte sie vor „Daten-PR“: der speziellen Aufbereitung von Daten, die JournalistInnen zu deren Nutzung animieren soll.
Wichtig sei, das Zusammenspiel von Mensch und Maschine genau zu beobachten. Auch müsse den Redaktionen die Macht bleiben, darüber zu entscheiden, was sie einsetzen und was sie lieber bleiben lassen, so Loosen. Gleichzeitig sei es essenziell, nicht nur über die Implementierung von KI zu reden, sondern auch darauf achten, dass Journalisten und Journalistinnen dieses Thema kritisch behandeln können. „Das ist eine per se wichtige journalistische Aufgabe, die auch ohne KI-Unterstützung vollzogen werden kann“, sagte die Forscherin.
Dass Journalismus immer stärker von Maschinen unterstützt wird, stellt für den Großteil des Publikums der Online-Diskussion kein Problem dar. 74 Prozent erachteten diesen Umstand bei einer kleinen Umfrage als „spannend“. 21 Prozent sahen es als „bedenklich“ an. Dass nur so die Medienbranche gerettet werden könne, fanden lediglich drei Prozent zutreffend.
Nähere Erkenntnisse soll ein vom Innovations- und Technologieministerium (BMK) gefördertes Projekt namens AI.AT.Media liefern. Die APA arbeitet dabei mit der Joanneum Research Forschungsgesellschaft zusammen, um Potenziale und Problemstellungen von KI für den Medienbereich zu ergründen. Die Ergebnisse sollen in den nächsten Monaten vorliegen.
Zur Video-Aufzeichnung des Online-Events „Code of Conduct und Zukunft des digitalen Journalismus“