Woche 45 – Hochbetrieb im „Remote-Newsroom“
Seit zehn Monaten hält die Corona-Pandemie Welt und Medien in Atem. Kalenderwoche 45 hatte es ganz besonders in sich. APA-Chefredakteur Johannes Bruckenberger über eine Woche im Lockdown, warum die APA den Namen des Wien-Attentäters nennt und eine unendliche US-Wahlnacht.
Frage: 80 bis 90 Prozent der APA-Redaktion arbeitet seit Mitte März im Home Office. Welche Auswirkungen hatte das auf die Berichterstattung am 2. November?
Johannes Bruckenberger: Die Redaktion hatte gerade ein sehr personalintensives Wochenende hinter sich. Die Regierung hatte am Samstag einen „Lockdown Light“ beginnend mit Dienstag verkündet. Das hieß Hochbetrieb für unsere Journalistinnen und Journalisten, Kameraleute, Fotografen und InfografikerInnen. Am Montag waren wir dann vor allem mit den letzten Planungen für den Lockdown-Beginn und die US-Wahlnacht von Dienstag auf Mittwoch beschäftigt. Die erste Info vom Terroranschlag langte bei uns durch einen unserer Fotografen ein, der die Ereignisse in der Wiener Innenstadt mitbekommen hatte. Im Newsroom in der APA-Zentrale waren um diese Zeit Home-Office-bedingt bereits alle Lichter aus, aber die Maschinerie unseres „Remote-Newsroom“ ist sofort angesprungen. Via MS Teams wurden ReporterInnen, Fotografinnen und Fotografen sowie Kameraleute Richtung Innenstadt dirigiert. Ein Team aus Innenpolitik und Chronik hat sich um die aktuellen Recherchen gekümmert. Für unsere Online-Kundinnen und -Kunden haben wir sehr rasch einen Liveblog gestartet, der in der Folge über 1,4 Millionen Abrufe erreichen sollte.
War man auf einen solchen Terroranschlag vorbereitet?
In den ersten Minuten und Stunden nach einem Terroranschlag ist die Lage meist chaotisch, unübersichtlich, und es kursieren viele Falschinfos. Soziale Netzwerke verstärken diese Effekte, eine Flut an Einzelwahrnehmungen und Infos verstellt den Blick auf das Gesamtbild. Für uns als Nachrichtenagentur gilt in solchen Momenten die Devise: Wir berichten, was wir verifizieren können, gesichert wissen und von offiziellen Stellen bestätigt wird. Keine Spekulationen und Gerüchte, keine Verbreitung von sensationsheischenden Social-Media-Posts oder Aufnahmen, die verstörend sein könnten, die Terroropfer ihrer Würde berauben oder Terroristen eine Plattform geben.
„Wir berichten, was wir verifizieren können.“
Johannes Bruckenberger
Es gab intensive Diskussionen darüber, ob Medien den Namen des Terroristen nennen sollen …
In erster Linie geht es darum, den Terroristen nicht zu mystifizieren. Zugleich handelt es sich um eine Person der Zeitgeschichte und die Frage „Wer“ gehört zu den wesentlichen „Ws“ jedes journalistischen Berichts. Im Basisdienst haben wir den Namen immer wieder genannt, nicht im Titel oder Untertitel, aber als nüchterne Information im Text. So wie wir das auch in der Vergangenheit bei Terroranschlägen getan haben. Zugleich haben wir auf Selbstinszenierungen des Täters, etwa in Fotos, bewusst verzichtet. Die APA-Datenbank ist eine Art „Gedächtnis der Nation“, wie es ein Medienjournalist einmal formuliert hat. Einen Namen aus der Geschichte zu streichen mag eine berechtigte politische Entscheidung sein, es ist aber nicht Aufgabe einer unabhängigen Nachrichtenagentur, das zu tun.
„Die APA-Datenbank ist eine Art ‚Gedächtnis der Nation‘.“
Johannes Bruckenberger
In Österreich haben aber viele Medien von einer Namensnennung Abstand genommen.
Darum haben wir überall dort, wo wir unsere Medienkunden direkt beliefern – etwa in den APA-Lines – auf eine Namensnennung verzichtet. Die Namensnennung nach solchen Terroranschlägen hat oft mit der unmittelbaren Nähe und Betroffenheit zu tun. In Neuseeland hat man sich nach dem Terroranschlag von Christchurch darauf verständigt, den Namen des rechtsextremen Attentäters nicht zu nennen, in Österreich haben viele Medien eine ähnliche Vorgangsweise gewählt. Im angelsächsischen Raum ist es wiederum völlig normal die Namen von Terroristen zu nennen. Reuters, Washington Post oder auch der Economist haben den Namen des Wien-Attentäters genannt – sachlich, nüchtern ohne Sensationseffekte. Das ist auch ein weiterer Grund, warum wir den Namen in unserer Berichterstattung schreiben, weil wir mit dem APA-Basisdienst die Verbindung zum Weltagentur- und Weltnachrichtennetz herstellen und solche Infos von unseren Partneragenturen erwartet werden.
Stichwort Weltnachrichten – neben Lockdown und Terror war Woche 45 durch ganz besondere Weltnachrichten dominiert …
Sie meinen diese unendliche US-Wahlnacht, die von Mittwochfrüh bis Samstagabend gedauert hat, bis endgültig klar war, dass Biden über Trump siegt? Es war eine wirklich außergewöhnliche Woche mit gleich drei großen Nachrichtenlagen in einem insgesamt außergewöhnlichen Jahr. Die gesamte Redaktion hat sich großartig geschlagen. Wir stecken in diesem Jahr in einem Marathon, der sich wie ein Sprint anfühlt. Die Arbeit im „Remote-Newsroom“ fordert uns noch mehr in unseren Kreativitätsprozessen, sie hat uns da und dort aber auch noch effizienter gemacht. Die komplexeren Kommunikations- und Koordinationswege sind für alle eine Herausforderung, aber so ist das in einer Pandemie.
„Wir stecken in diesem Jahr in einem Marathon, der sich wie ein Sprint anfühlt.“
Johannes Bruckenberger
Im Zusammenhang mit Corona gibt es nach wie vor auch viel Kritik an den Medien. Zu viel und zu hysterisierend, was die Gefahren durch das Virus betrifft, so nur eine der Vorhaltungen.
Den Overkill-Vorwurf kann ich nicht nachvollziehen. Dem steht auch das große Interesse der Bevölkerung gegenüber. Alle klassischen Medien verzeichnen Reichweitenrekorde und Höchststände bei Zugriffszahlen. Es gibt eine große Nachfrage nach faktenbasierten und vertrauenswürdigen Nachrichten. Wir sehen uns seit Monaten vor einer außergewöhnlichen Nachrichtenlage. Der Umfang der Berichterstattung ist dem Anlass angemessen. Was uns besonders hilft, ist der hohe Stellenwert, den die Wissenschaftsberichterstattung in der APA immer schon hatte. Wir haben im Basisdienst und bei APA-Science ein Team aus fünf Journalistinnen und Journalisten, das sich ausschließlich mit Wissenschaftsthemen beschäftigt, und Corona ist letztlich eine Wissens- und keine Glaubensfrage.
Ein anderer zentraler Kritikpunkt: Die Medien seien zu unkritisch gegenüber der Politik.
Das sieht die Politik sicher anders. Fragen Sie dort nach. Gerade in den vergangenen Wochen gab es viele kritische Berichte und Meldungen zu den Versäumnissen der Politik über den Sommer oder den mangelhaften Beitrag des Föderalismus zur Bewältigung der Krise. Medien sind ein Produkt der Aufklärung, sie werden Mächtigen und Regierenden immer in kritischer Distanz gegenüber stehen. Das ist unser Dienst an der Demokratie.